Zurück zur Normalität – ist das möglich?
Da ist sie wieder. Die Euphorie einer Fußballgroßveranstaltung. Und ja. Zumeist sind es tolle Bilder, die die EM 2024 zeigt. Fanmärsche die Freude bereiten. Singende Schotten, tanzende Holländer und gemeinsame Freude in den Fanzonen der Städte. In meinen Augen ist es wahrscheinlich die europäischste der bisherigen Euros. Verbindend in der Begeisterung. Das kann der Fußball wie kein anderer Sport. Da fällt der versuchte Missbrauch der Begeisterung für politische Zwecke gar nicht so ins Gewicht.
Eher überschaubar waren die Bilder, die auf den Spielfeldern produziert wurden. Nur wenige Spiele begeisterten richtig. Schön, dass auch die deutsche Elf erheblichen Anteil an diesen Highlights hatte.
Wie erhofft wird auch diese EM im eigenen Land die Kinder wieder in die Vereine treiben. Und wieder wird er da sein. Der Traum vom ganz Großen. Von der Karriere als Profi, der auch einmal jubelnd über den Rasen einer der hochmodernen Fußballarenen laufen wird. Ein Traum, den oft nicht nur die Kinder, sondern zumeist primär die ambitionierten Väter und auch Mütter in sich tragen.
Aber auch ein Traum, der im Grunde fast ausnahmslos eines bleibt. Ein Traum. Eine einfache Rechnung zeigt die Wahrscheinlichkeit. In Deutschland spielen aktuell 1,4 Millionen Kinder zwischen 6 und 14 Jahren aktiv Fußball im Verein. Dagegen stehen etwa 1.000 in Deutschland ausgebildete Spieler in den obersten drei Profiligen. Die Wahrscheinlichkeit der Profikarriere liegt bei so skizzierten 0,0007% bzw. bei 0,007 Promille. Studien zeigen, dass es am Ende nur gut 2 von 100 Spielern der U19 Bundesligen gelingt, später im Profifußball Fuß zu fassen.
Wäre es angesichts dieser Zahlen nicht an der Zeit, den Fußball wieder sein zu lassen, was er am besten kann? Nämlich der einfachste Weg, Menschen zusammen zu bringen. Auch auf dem Platz. Der Ball kennt keine Grenze, kein Geschlecht, keine Sprache, keine Hautfarbe und gleich gar keine Religion. Der Ball ist tolerant und neutral. Und genau das macht ihn so stark.
Sollte das nicht das Hauptargument sein, um einem Verein beizutreten? Gemeinsam einem Hobby nachzugehen, das so viele von uns verbindet? Einfach Fußball spielen? Einfach Spaß mit Freunden haben? Einfach abschalten.
Die Realität ist anders. Die sportliche Entwicklung der Kinder steht über allem. Da wird gescoutet, gewechselt und analysiert. Immer im Fokus: Der nächste Schritt. Angesichts der Zahlen stellt sich die Frage. Der nächste Schritt wohin?
Dass ein Talent unentdeckt bleibt, ist im System der Stützpunkte, Auswahlteams und Scouts nicht mehr möglich. Also stellt sich die Frage: Warum lässt man die Kinder sich nicht dort entwickeln, wo sie sind? Wo Freunde vor Ort sind, wo soziale Kontakte auch neben dem Fußballverein möglich sind, wo Kinder den Verein als Heimat erleben? Dass Ausnahmetalente besonders zu fördern sind, steht außer Frage. Nur sind es eben zumeist die Eltern, welche das Ausnahmetalent exklusiv erkennen. Und damit die Kinder und auch die TrainerInnen sinnlos unter Druck setzen.
Die einseitige Fokussierung auf die sportliche Entwicklung der Kinder höhlt in der Konsequenz Vereine aus. Der immerwährende “nächste Schritt” unterdrückt die Chance Kinder an den Verein zu binden und setzt dagegen die Vereine unter Druck, immer professionellere Strukturen auszubilden, um im Rennen zu bleiben. Diese Strukturen beruhen auf den Schultern von ehrenamtlich engagierten Menschen, die ihr Ehrenamt im Regelfall in der sozialen Bindung zum System Verein sehen. Und hier sitzt das Problem. Ehrenamtliche Vereine, die versuchen professionelle Strukturen zu simulieren. Das kann nicht gut gehen. Entweder wenden sich die Ehrenamtler frustriert ab oder die professionell orientierten Eltern suchen mit den Kindern den “besseren” Verein. Den es aber realistischerweise gar nicht geben kann. Denn sportlich gesehen gibt es fast immer wieder eine Liga drüber. Ein Rennen, das für ehrenamtlich strukturierte Vereine nicht zu gewinnen ist.
Was bleibt?
Es ist an den Vereinen, sich zu entscheiden. Konsequente Professionalisierung oder die Entscheidung für den Verein als soziales, ehrenamtlich strukturiertes System. Der Versuch beide Seiten zu bedienen kann auf Dauer nicht gelingen.