Corona hat die Leute vom Fußball entwöhnt
Der Amateurfußball wird enorme Widerstände überwinden müssen, um wieder den gewohnten Platz im Leben zurückzuerobern. Doch es gibt auch eine große Chance.
Kommen alle zurück? Als Vorsitzender eines Fußballvereins ist das meine größte Corona-Sorge, auch wenn jetzt alle über Saisonabbruch und Einnahmeverluste debattieren. Manche mögen denken: Wenn es wieder losgeht, strömen die Spieler, Trainer, Betreuer und Fans auf den Sportplatz. Klingt logisch, ist aber keineswegs gesagt. Mein Eindruck ist, das kann ganz anders kommen. Die vielen Monate der Unterbrechung haben die Leute möglicherweise vom Fußball entwöhnt und fußballferne Verhaltensmuster gefestigt. Es freute sich die Frau oder Freundin. Es freute sich manch Chef über Potential für Mehrarbeit.
Das Handicap im Mannschaftssport war nun mal schon immer die Zeitgebundenheit. Zeit ist eine wertvollere Währung als früher. Zweimal wöchentlich Training, Spiel am Wochenende. In vielen Familien waren diese Termine Taktgeber. Doch seit der Pandemie stehen Dienstag- und Donnerstagabend zur freien Verfügung.
Der Amateurfußball wird enorme Widerstände überwinden müssen, um wieder den gewohnten Platz im Leben zurückzuerobern. Es wird ein ungewisser Neustart. Da sind zum einen die Spieler. Ich kenne es aus anderen Zusammenhängen. Nach langen Unterbrechungen, zum Beispiel nach jeder Winterpause, erscheinen einige nicht mehr. Gerade dann verliert der Fußball regelmäßig viele Kicker in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter. Da stürmt vieles auf die jungen Menschen ein, da bieten sich ihnen viele andere Optionen, auch Sportarten. Basketball ist schon lange ein ernster Konkurrent, Parkour ist zurzeit sehr angesagt. Jetzt ist die Gefahr größer als sonst, denn wir befinden uns praktisch im sechsten Monat der Winterpause. In Bayern dauert die von Mitte November bis Anfang März, wir hatten unseren Betrieb vor Corona noch gar nicht wiederaufgenommen.
Da sind zum anderen die Trainer, Betreuer und Ehrenamtlichen. Die Corona-Pause ist eine einschneidende Lebensphase, für viele ist sie eine Zeit der Selbstreflexion, ich merke das auch in meiner Familie. Mancher fragt sich: Was mache ich mit meinem Leben? Lass ich mich seit Jahren vom Fußball ausbeuten? Es wäre ein großer Schaden, wenn manch Vorstandsmitglied zur nächsten Wahl nicht mehr antritt oder einige Jugendtrainer in der nächsten oder übernächsten Saison aufhören. Dann würden wir wichtige Helfer langfristig verlieren.
Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt den Kontakt zu unseren Mitgliedern halten, dass wir viel mit ihnen sprechen. Sie sollen den Bezug zum Verein nicht verlieren. Ich hab mir vorgenommen, den sozialen Aspekt, der schon vor Corona ein wenig verloren gegangen war, künftig wieder mehr zu betonen. Das kann ich auch anderen nur raten: weniger Punktprämien, mehr Mannschaftsabende und freie Getränke, mehr Leben im Vereinsheim, mehr Kümmern und füreinander da sein. Wir wollen, wie wir stets behaupten, die Familie sein. Jetzt erst recht. Dann ist Corona auch eine Chance, vielleicht halten wir dann alle, vielleicht gewinnen wir sogar den einen oder die andere. Wenn wir wieder so werden, wenigstens ein bisschen, wie wir es früher mal waren.
Quelle: www.hartplatzhelden.de